Leserbrief / Offener Brief an die Redaktion des Mannheimer Morgen

Betreff: Interview mit dem Spitzenkandidat der CDU Guido Wolf, Mannheimer Morgen, Ausgabe vom 10.4.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Entsetzen las ich das heutige Interview mit Herrn Wolf. Der Spitzenkandidat Guido Wolf stellt im Interview vom 10. April 2015 klar, dass die CDU für eine weltoffene Politik stehe. Diese müsse sich „aber zunächst an den Menschen ausrichten, die täglich zur Arbeit gehen und mit ihren Familien auch einen Beitrag zum Überleben der Schöpfung leisten“. Im Klartext bedeute dies für ihn, dass Mann und Frau sich zusammentun, um Kinder auf die Welt zu bringen.

Ich gehe täglich zur Arbeit und leiste mit meiner Familie auch einen Beitrag zum Überleben der Schöpfung. „Nur“ habe ich mich hierfür nicht mit einem Mann „zusammengetan“, sondern lebe mit meiner Frau und unseren zwei Kindern in einer Regenbogenfamilie. Einer Familienkonstellation von der Herr Wolf meint, dass diese nicht dem Wohl der Kinder diene. Genausowenig scheint es dem Wohl der Kinder und dem Überleben der Schöpfung zu dienen, wenn Menschen etwa bewusst die Entscheidung treffen, keine Kinder zu bekommen, oder aus verschiedenen Gründen vielleicht keine Kinder bekommen können. Ebensowenig dient es demnach dem Wohl der Schöpfung, wenn ich etwa nicht jeden Tag zur Arbeit gehe, sondern arbeitslos geworden bin. Auch dient es dem Wohl der Schöpfung und dem der Kinder nicht, wenn lediglich ein Elternteil sich um das Kind kümmert, etwa lediglich die Mutter oder der Vater als Alleinerziehende.

Und, was ist mit all den Elternteilen, die sich – etwa weil die Mithilfe zum „Überleben der Schöpfung“ ihnen selbst nicht so gelingt – auf Unterstützung durch assistierte Reproduktionsmedizin zurückgreifen. Sind sie ebensowenig Teil der Politik der CDU, die sich ja nicht mit den Rändern der Gesellschaft beschäftigen möchte?!

Als Mitglied des Landesfamilienrates Baden-Württemberg, der eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationen zu seinen Mitgliedern zählt, bin ich über die Stellungnahme des Spitzenkandidaten der baden-württembergischen CDU besonders entsetzt: Für mich und die anderen Mitglieder dieses Gremiums wird das Interesse eines Kindes hoch bewertet. Für uns ist Familie dort, wo Kinder sind und nicht an „den Rändern“ der Gesellschaft: bei Alleinerziehenden und in Regenbogenfamilien genauso wie in Pflegefamilien. Das Interesse der Kinder steht im Vordergrund, egal ob leiblich, adoptiert oder in Pflege, ob mit „Hilfe einer Klinik“ entstanden oder ohne. Somit stellt auch ein gemeinsames Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare genausowenig wie das verschiedengeschlechtlicher Paare eine Gefahr für den Erhalt der Schöpfung dar, ganz im Gegenteil! Gerade im Interesse der Kinder, die – aus welchen Gründen auch immer-, nicht mehr in ihren Herkunftsfamilie leben, sollte es doch egal sein, bei welch fürsorglichen Erwachsenen sie aufwachen, seien diese schwul, muslimisch, jüdisch oder eben katholisch!

Herr Wolf sollte sich vielleicht einmal aufmerksamer umschauen, dann realisierte er vielleicht: Familie ist vielfältiger und bunter als von ihm beschrieben und in jeder Couleur sehr Wohl Teil der Schöpfung! Das musste einmal gesagt werden!

Mit freundlichen Grüßen

Marion Lüttig

Landesvorstand LSVD Baden-Württemberg

Mitglied im Landesfamilienrat Baden-Württemberg
Ehem. Sprecherin des Stadtelternbeirats (STEB) der städtischen Kindertageseinrichtungen Mannheim
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) e.V.
Landesverband Baden-Württemberg
Weissenburgstr. 28 a
70180 Stuttgart