1. Queerfilmfestival in Stuttgart

Freund*innen des queeren Films kommen von Mittwoch an bis einschließlich Sonntag im Stuttgarter Delphi-Kino voll auf ihre Kosten. Zum ersten Mal veranstaltet der Filmverleiher Edition Salzgeber (genau, der mit der Queer Filmnacht) ein mehrtägiges Festival für den LSBTTIQ-Film.

„Wild Nights with Emily“ beleuchtet am Samstag die lange Zeit verschwiegene lesbische Identität der Dichterin. Danach Podium über lesbische Sichtbarkeit mit Vorstandsfrau Kerstin Fritzsche. Foto: Edition Salzgeber

Vom 28. August bis einschließlich 1. September sind insgesamt 15 Filme in Stuttgart zu sehen – 10 Spiel- und 5 Dokumentarfilme. Alle Filme sind Stuttgart-Premieren.

So kann man zum Beispiel noch vor offiziellem Start in den Arthouse-Kinos die Literaturadaption „Der Honiggarten – Das Geheimnis der Bienen“ mit Oscar-Preisträgerin Anna Paquin und Holliday Grainer sehen. Regisseurin Annabel Jankel fürt uns in dem lesbischen Drama ins Schottland der 50er-Jahre. Seit sie von ihrem Mann verlassen wurden, zieht Lydia (Holliday Grainger) ihren Sohn Charlie (Gregor Selkirk) alleine groß. Weder für die Mutter noch für den Sohn ist es ein leichtes Los. Während Lydia Tag und Nacht schuftet, um sich und das Kind durchzubringen, wird Charlie in der Schule drangsaliert. Als er eines Tages als Patient zu Dr. Jean Markham (Anna Paquin) kommt, die gerade erst in ihren Heimatort zurückgekehrt ist, um die Praxis ihres Vaters zu übernehmen, findet er in der jungen Ärztin eine neue Freundin. Die passionierte Bienenzüchterin weiht ihn in die Kunst der Imkerei ein, und bald erzählt Charlie den Bienen seine Geheimnisse, so wie es auch Jean als Kind getan hat. Über Charlie lernt Jean auch Lydia kennen. Als Mutter und Sohn aus ihrerWohnung geschmissen werden, weil Lydia die Miete nicht mehr bezahlen kann, nimmt Jean die Beiden bei sich auf. Schon bald entwickelt sich mehr als Freundschaft zwischen Lydia und Jean – und nicht nur die Bienen müssen ein tiefes Geheimnis bewahren.

Das deutsche Road Movie „Bonnie & Bonnie“ zeichnet die berührende Liebesgeschichte zweier Mädchen, deren Umfeld ihre junge Liebe nicht akzeptiert. „Weil sie aber trotzdem ihre Freiheit leben wollen, werden Yara und Kiki zu ‚Bonnie & Bonnie‘, also einer weiblichen Variante von Bonnie & Clyde“, so Regisseur Ali Hakim. Sein Spielfilmdebüt ist im Rahmen der Reihe „NDR Nordlichter“ entstanden.

Mit dem französischen Komödien-Hit „Die glitzernden Garnelen“ bringt das Queerfilmfestival etwas Leichtigkeit und Amüsement in den Kinosaal. In dem Film von Cédric Le Gallo und Maxime Govare geht es um einen Olympiasieger, der am Ende seiner Karriere unüberlegt einen homophoben Kommentar im Fernsehen tätigt. Daraufhin muss er ein aus schwulen Spielern bestehendes Wasserballteam trainieren.

Frisch aus Cannes ist das dort gefeierte Tanzdrama „Als wir tanzten“ aus Georgien mit dabei. Merab ist Student an der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis. Sein größter Traum ist es, professioneller Tänzer zu werden. Als Irakli neu in die Klasse kommt, sieht Merab in ihm zunächst einen ernstzunehmenden Rivalen auf den ersehnten Platz im festen Ensemble. Doch aus der Konkurrenz wird bald ein immer stärkeres Begehren. Im homophoben Umfeld der Schule, in der konservative Vorstellungen von Männlichkeit hochgehalten werden, wird von den beiden jedoch erwartet, dass sie ihre Liebe geheim halten.

Nach zehn Jahren Aufführungsverbot darf nun der Film über Yves Saint Laurent und seinen Partner Pierre Bergé gezeigt werden. „Celebration“ von Olivier Meyrou wurde bereits 2007 uraufgeführt, Bergé ließ aber weitere Veröffentlichung und Screenings verbieten. Erst jetzt, zwei Jahre nach Bergés und mehr als ein Jahrzehnt nach Laurents Tod, kann eine leicht veränderte Fassung des Biopics über die komplexe Beziehung des Modedesigners und seines Partners gezeigt werden.

Aus Argentinien kommt mit „Der Blonde“ ein sinnliches Drama über eine Liebe zwischen zwei Männern, die sich beide vorher eher für strikt hetero hielten. In einem Vorort von Buenos Aires ziehen sie zusammen. Und aus den „flatmates with benefits“ – einem lockeren sexuellen Arrangements – wird dann doch ein richtiges Paar, allerdings natürlich nicht ohne Identitätsprobleme.

Vom queeren Coming-of-Age erzählt „This is not Berlin“ aus Mexiko. Der Vater verschwunden, die Mutter schwer depressiv – Carlos (Xabiani Ponce de León) droht sich vor diesem familiären Hintergrund zunehmend von der Welt zu entfremden. Da lernt er Gera (José Antonio Toledano) kennen. Gemeinsam stürzen sich die beiden Freunde in das mexikanische Nachtleben und erleben Abenteuer voller Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Überraschungshit beim diesjährigen Sundance Film Festival in den USA. Für Liebhaber*innen von Punk und Underground ein Muss.

Der deutsche Film „Rettet das Feuer“ thematisiert im Rückblick Aids in Berlin anhand der Biograie des Künstlers Jürgen Baldiga – ein Stück West-Berliner Geschichte, während „Ich bin Anastasia“, ebenfallsaus Deutschland“, sich mit Transsexualität und dem Transitionsprozess auseinandersetzt. Begleitet wurde dazu Oberstleutnant Anastasia Biefang, erste trans*-Frau in der Bundeswehr auf einem leitenden Posten.

Am Samstag um 17 Uhr zeigt das Delphi „Wild Nights with Emily“, die Filmbiografie von Madeleine Olnek über die Dichterin Emily Dickinson (1830–1886). Lange Zeit war nicht bekannt, dass Dickinson lesbisch war. In der Geschichtsschreibung, also in Biografien und auch in der literaturwissenschaftlichen Betrachtung ihres Werkes heißt es stets: Sie führte ein zurückgezogenes Leben und konzentrierte sich auf ihr künstlerisches Schaffen. Dies ist zum einen eine Romantisierung der Künstlerin in dieser Zeit allgemein, die nicht so zulässig ist, da Dickinsons Gedichte beispielsweise nach ihrem Tod veröffentlicht wurden. Sie musste in ihrem Vaterhaus leben, um durchzukommen und wurde zeitlebens als Dichterin nicht wahrgenommen. Auch 2006 heißt es in Rezensionen zu neuen Übersetzungen, Dickinson sei eine der rätselhaftesten Dichterinnen der Welt. Zum anderen war Rückzug ins Private geboten, denn im Geheimen hatte sie über Jahrzehnte eine Liebesbeziehung mit ihrer Jugendfreundin Susan Gilbert. Susan heiratet Emilys Bruder Austin, um Emily weiterhin nahe sein zu können und ohne Verdacht zu erregen. In ihren Gedichten verarbeitet Emily ihre Gefühle für Susan jedoch ganz offen. Nach Emilys Tod sorgt die Verlegerin Mabel, die eine Affäre mit Austin hat, dafür, dass die postum veröffentlichten Gedichte manipuliert und Emilys Liebesbriefe für Susan an Männer umadressiert werden.

Nach „Wild Nights with Emily“ spricht Vorstandsfrau Kerstin Fritzsche mit Moderator Andreas Struck über lesbische Sichtbarkeit damals und heute, in der Kunst und im Alltag, über Regenbogenfamilien-Konstrukte damals und heute und LSBTTIQ-Differenzen und -Allianzen. Seid dabei!

Für Infos über die weiteren Filme beim Queerfilmfestival, genaue Startzeiten und Trailer klickt Euch hier rein oder beim Delphi auf Facebook.