Der LSVD gratuliert den Grünen in Baden-Württemberg herzlich zum Erfolg bei der Landtagswahl. Seit kurzem ist klar: Es wird eine Neuauflage der grün-schwarzen Koalition geben. Zusammen mit der zukünftigen Landesregierung hoffen wir, gemeinsam für eine Politik der Akzeptanz und Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTTIQ) in Baden-Württemberg kämpfen zu können. Dazu haben wir ein paar Forderungen aufgestellt.
Aktionsplan „Für Akzeptanz & gleiche Rechte“ evaluieren und fortentwickeln – LSBTTIQ-Selbsthilfe langfristig absichern
Der Aktionsplan sollte unter Einbeziehung der queeren Vereine und Verbände evaluiert und weiterentwickelt werden. Beratungsstellen und andere Unterstützungsangebote für LSBTTIQ im ländlichen Raum müssen ausgebaut werden und eine langfristige Finanzierung erhalten.
Lesbische Sichtbarkeit fördern – Aktivist*innen stärken
Im Rahmen des Aktionsplans sollte gemeinsam mit dem Landesnetzwerk LSBTTIQ ein Schwerpunkt „lesbische Sichtbarkeit“ geprüft werden. In der Mädchen*arbeit müssen projektbezogenen Förderungen zu Stärkung lesbischer Mädchen* und junger Frauen* ausgebaut und verstetigt werden.
Vielfalt und Respekt in Schule und Bildung fördern
In Lehrplänen und im Bildungsplan braucht es mehr Verbindlichkeit zur Thematisierung von „sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ in Schule und Unterricht. An jeder Schule sollte es eine Lehrkraft geben, die das Diversity-Management koordiniert und Lehrkräfte dabei unterstützt, die Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ in der Schulpraxis umzusetzen. An Schulämtern und an Schulen sollten ergänzend Ansprechpersonen für vielfältige Lebensweisen und Identitäten benannt werden. Darüber hinaus ist die flächendeckende Förderung von Peer-to-Peer-Schulaufklärungsprojekten notwendig.
Frei und sicher leben – LSBTTIQ-feindliche Gewalt entschieden bekämpfen
In Baden-Württemberg muss ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Hasskriminalität aufgelegt werden, das explizit auch LSBTTIQ-Feindlichkeit einbezieht. Flankierend braucht es eine Studie, um empirische Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe sowie belastbare Erkenntnisse über den Umgang von Polizei und Justiz mit LSBTTIQ-feindlicher Gewalt zu erlangen. Darüber hinaus sollten die polizeilichen Erfassungssysteme reformiert werden, damit LSBTTIQ-feindliche Hasskriminalität detailliert aufgeschlüsselt und in ihren realen Ausmaßen gesellschaftlich sichtbar wird. Im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention ist es erforderlich, dass alle Beratungsstellen für die Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt auch im Hinblick auf LSBTTIQ geschult werden.
Wir freuen uns, im Ergebnispapier der Sondierungen zu lesen, dass Grün-Schwarz ein Landesantidiskriminierungsgesetz plant. Noch am 15. März, dem Tag nach der Wahl, hatte uns der noch amtierende Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) auf Anfrage geantwortet, die bestehenden Maßnahmen gegen Hasskriminalität in Baden-Württemberg würden ausreichen.
Regenbogenfamilien stärken – Familienvielfalt wertschätzen
Durch Fortbildungen und Informationsmaterial sollen Mitarbeitende in Kitas, Verwaltungen, in Einrichtungen der Familienhilfe und auch in Schulen zum Thema Familienvielfalt sensibilisiert und fortgebildet werden. Ziel soll es sein, die Akzeptanz von Regenbogenfamilien zu fördern und die Regenbogenkompetenz der Fachkräfte zu erhöhen. Die neue LSVD-Beratungsstelle „BerTA – Beratung, Treffpunkt und Anlaufstelle für Regenbogenfamilien“ in Stuttgart ist bisher ein Leuchtturmprojekt im Land. Durch Projekt- und Landesmittel könnten auch in anderen Regionen Baden-Württembergs Beratungs- und Unterstützungsstellen für Regenbogenfamilien nach dem Vorbild von BerTa entstehen oder andere Formen der mobilen Beratung eingerichtet werden.
Auswirken von Corona und CoVid-19 auf LSBTTIQ abmildern – Queere Räume absichern
Verordnungen und Maßnahmen waren in den letzten Monaten geprägt von einem heteronormativen Familienbild, das Diskriminierungserfahrungen und Lebensrealitäten von LSBTTIQ nicht berücksichtigte. Bei zukünftigen Maßnahmen sollen vielfältige Identitäten sowie Familien- und Lebensformen mitgedacht und auch berücksichtigt werden. Um in Pandemiezeiten Unterstützungsstrukturen der LSBTTIQ-Community sowie sichere Räume abzusichern, sollte ein „queerer Schutzschirm“ ins Leben gerufen werden. So könnten die finanziellen Auswirkungen der Pandemie abgefedert und bestehende Strukturen geschützt werden.
Gleichstellung und Akzeptanz im öffentlichen Handeln fördern
Baden-Württemberg braucht ein Landesantidiskriminierungsgesetz, um die Gleichstellung und Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlichen Identitäten zu fördern und Diskriminierung entgegenzuwirken. Auch die Einführung des dritten positiven Geschlechtseintrags „divers“ sollte auf allen landespolitischen Ebenen und in den Verwaltungen umgesetzt werden.
Siehe auch Punkt „LSBTTIQ-feindliche Gewalt entschieden bekämpfen“
Respekt und Akzeptanz von LSBTTIQ in der Arbeitswelt erhöhen
Jede*r Arbeitnehmer*in braucht einen Arbeitsplatz, an dem er*sie diskriminierungsfrei arbeiten kann und in seiner*ihrer Lebensweise akzeptiert wird. Das Land sollte sich im Dialog mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, als auch durch Schulungen dafür einsetzen, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz entgegengewirkt und für einen respektvollen Umgang mit LSBTTIQ geworben wird. Im Landesdienst ist es sinnvoll, Ansprechpersonen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt am Arbeitsplatz zu schaffen.
Regenbogenkompetenz im Sport erhöhen
Die Landesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass Sportvereine und -verbände bei der Antidiskriminierungsarbeit unterstützt werden. Das betrifft vor allem die Aus- und Fortbildungen von Trainer*innen und Übungsleiter*innen sowie die Unterstützung bei der Anpassung von Vereinssatzungen und Stadionordnungen. Im Bereich der Fankulturen könnte das Land ebenfalls Fanbeauftragte sowie präventive Projekte im Fan- und Amateursportbereich unterstützen, die sich gegen Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung von LSBTTIQ engagieren.
Queere Geflüchtete schützen – LSBTTIQ-inklusive Integration von Geflüchteten und Migrant*innen sicherstellen
Alle Mitarbeitenden und Ehrenamtler*innen von Einrichtungen der Geflüchteten-Hilfe sollten im Umgang und Erkennen von LSBTTIQ-feindlicher Gewalt in und um Einrichtungen geschult werden. Eine fachspezifische Beratung für LSBTTIQ-Geflüchtete muss Standard in allen Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes werden. Je früher ein besonderer Schutzbedarf festgestellt wird, umso früher kann die schutzsuchende Person passgenaue Unterstützung erfahren. Dazu gehört auch, dass LSBTTIQ-inklusive Gewaltschutzkonzepte und Mindeststandards für die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften umgesetzt werden.
Akzeptanz von Vielfalt in allen Lebensaltern verwirklichen
Sowohl die Angebote der offenen Altenhilfe als auch die ambulanten und stationären Angebote sind zumeist nicht für die Bedürfnisse älterer LSBTTIQ ausgerichtet. In Aus- und Fortbildungen von medizinischem Personal braucht es verbindliche Ausbildungsmodule zum Thema „sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Alter“. Zwischen schulischen, familiären und gesellschaftlichen Anforderungen, Erwartungen und Abhängigkeiten haben auch Jugendliche besondere Herausforderungen und Konflikte zu meistern. In dieser Phase fällt für LSBTTIQ zumeist ihr Coming-out. Daher ist es notwendig, dass die Regelstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt sowie zu Themen wie Coming-out und Transition geschult werden. Bei der Weiterentwicklung und Fortschreibung des Masterplans Jugend sollten LSBTTIQ-Jugendliche bei allen Themen mit berücksichtigt werden.
Regenbogenkompetenz in die Kontrollgremien des SWR und des LFK
Der Landesrundfunkrat Baden-Württemberg des SWR und die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) sollten zukünftig ein breites Spektrum der gesellschaftlichen Vielfalt in ihren Gremien abbilden. Hierzu ist es notwendig eine LSBTTIQ-Selbstvertretung in beiden Gremien zu schaffen. Auch müssen andere gesellschaftliche Gruppen, die bisher noch nicht vertreten sind, berücksichtigt werden.
Geschlechter- und diversitätsgerechte Gesundheitsversorgung sicherstellen
Psychiatrie und Medizin sowie alle im Gesundheitswesen tätigen Menschen, Organisationen und Institutionen müssen LSBTTIQ vorurteilsfrei gegenübertreten. Trans*- und intergeschlechtliche Menschen brauchen eine sensible medizinische Betreuung, daher sollten medizinische Fachkräfte für die besonderen Bedürfnisse von trans*-und intergeschlechtlichen Menschen sensibilisiert und regelmäßig fortgebildet werden. Geschlechtliche Vielfaltbraucht einen festen Platz in Ausbildung, Lehre und Fortbildung.
Baden-Württemberg tritt für Vielfalt und Respekt in der Bundespolitik ein
Die Landesregierung sollte sich in der neuen Legislatur im Bundesrat dafür einsetzen, dass Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes um das Merkmal „sexuelle und geschlechtliche Identität“ ergänzt und das Familien- und Abstammungsrecht modernisiert wird. Darüber hinaus muss das diskriminierende Transsexuellengesetz (TSG) durch ein menschenrechtsorientiertes Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung ersetzt werden. Auf Bundesebene fehlt darüber hinaus ein Bund-Länder-Programm gegen LSBTTIQ-feindliche Hasskriminalität. Hier könnte die Landesregierung eine entsprechende Initiative anstoßen.
Baden-Württemberg setzt sich für die Menschenrechte von LSBTTIQ in den internationalen Beziehungen ein
Baden-Württemberg unterhält eine Vielzahl an internationalen Beziehungen, Landespartnerschaften und fördert entwicklungspolitische Projekte. Diese Besuche, die Partnerschafts- und entwicklungspolitischen Projekte bieten Gelegenheit, die Menschenrechte von LSBTTIQ anzusprechen und deutlich zu machen, dass der Schutz von Minderheiten zu den demokratischen Grundwerten gehört. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollte das Thema „Menschenrechte von LSBTTIQ“ als Querschnittsthema in die Projektförderung integriert werden.