Wie formuliert mensch richtig, um etwas über Homo- und Transfeindlichkeit zu erfahren?

In den vergangenen anderthalb Wochen gab es viel Wirbel um zwei suggestiv gestellte Fragen zu LSBTTIQ in der aktuellen Stuttgarter Bürgerumfrage. Wie es oft einfach passiert, war die Absicht eigentlich gut, aber die Umsetzung eben nicht so gut. Niemand wollte Intoleranz in der Landeshauptstadt auch noch befördern, das wurde klargestellt. Trotzdem läuft die Umfrage leider weiter.

Vor allem ging es um Frage 47, die da lautet: „Übertreiben es in Stuttgart Ihrer Meinung nach viele mit ihrer Toleranz gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen?“. Mit großem Erstaunen haben wir die Fragen zur „Toleranz“ der Stuttgarter Stadtgesellschaft gegenüber LSBTTIQ-Menschen in der aktuellen Bürgerumfrage zur Kenntnis genommen. Und dann zusammen mit 100% Mensch, der IG CSD Stuttgart, dem Fetz, der Weissenburg und Mission trans einen offenen Brief (pdf, ca. 190 kB) verfasst.

Produktive Zusammenarbeit

In den letzten Jahren hat sich eine sehr gute und produktive Zusammenarbeit zwischen der Stuttgarter Community und der Landeshauptstadt Stuttgart etabliert. Wir möchten dem Gemeinderat an dieser Stelle nochmals herzlich für das große Vertrauen in die Expertise und Arbeit der Organisationen der Stuttgarter Community danken, welches er mit der breiten Förderung der LSBTTIQ-Beratungsstellen, -Organisationen und -Kulturveranstaltungen bekräftigt hat. Daher bedauern wir außerordentlich, dass diese Expertise nicht genutzt wurde, um den nun durch die unglückliche Wortwahl in der Bürgerumfrage entstandenen Schaden zu verhindern. Auch kommen wir trotz des guten Vertrauensverhältnisses und der grundsätzlichen Unterstützung des Impulses, Fragen zur Lage von LSBTTIQ-Menschen in Stuttgart in die Bürgerumfrage aufzunehmen, nicht umher, unsere Kritik an der Fragestellung und dem Vorgehen zu äußern.

Sensibilität erforderlich

Vor allem bitten wir aber um Aufklärung, was da genau passiert ist, denn die Formulierungen bedienen unserer Meinung nach queerfeindliche und rechtspopulistische Narrative. Es gehört zu einem echten Verständnis queerer Lebensrealitäten, auch mit der notwendigen Sensibilität gegenüber marginalisierten Gruppen und der Sichtbarkeit queeren (Er-)Lebens zu handeln.

Gleichzeitig haben wir, der LSVD Baden-Württemberg, beim zuständigen Amt der Stadt Stuttgart angefragt. Hier haben wir eine ausführliche Antwort mit einer Entschuldigung erhalten. Es wurde uns glaubhaft versichert, dass zu keinem Zeitpunkt Homo- und Transphobie oder diese in der Stadtgesellschaft zu bestärken, Absicht war.

Erstmalig sollen „homophobe und transphobe Einstellungen“ erhoben werden

Aus dem statistischen Amt heißt es zu unserer Anfrage: „Ein spezifisches Erkenntnisinteresse besteht in der aktuellen Bürgerumfrage nun erstmalig auch darin, homophobe und transphobe Einstellungen in Stuttgart abzubilden. Im Zusammenspiel aus Fachbehörden, Wissenschaft und Politik sind wir davon überzeugt, dass derart gelagerte Tendenzen in der Stadtgesellschaft existieren. Um diesen entgegenzutreten, ist es erforderlich, etwas über das tatsächliche Ausmaß und die Personen zu erfahren, die mit homophoben und transphoben Einstellungen aufwarten. Denn hier sind wir bislang relativ blind. Das Ignorieren dieser Einstellungen nach dem Motto „Das nicht sein kann, was nicht sein darf“ hilft uns bei der Bewältigung dieser gemeinsamen Aufgabe nicht weiter.“

Bundesweite Referenzstudie von 2017

Orientiert wurde sich dann bei der Fragestellung an einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2017. Diese Orientierung findet der LSVD ebenfalls unglücklich, denn auch in dieser Studie wurden die Fragen teils fragwürdig gestellt. Zudem hat die Studie generell Einstellungen zu lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland zum Thema und nur diese. Weil die Stadt Stuttgart aber zudem die Chance sah, eine Vergleichbarkeit mit bundesweiten Ergebnissen zu schaffen, wurden die Formulierungen so gewählt. Deswegen komme etwa der Begriff „Toleranz“ anstelle von „Akzeptanz“ vor.

Nach bestem Wissen und Gewissen wurden also dann die Fragestellungen erarbeitet, stießen bei den Grünen im Gemeinderat auf große Zustimmung und sollten genauso in der Bürgerumfrage umgesetzt werden. Die Bürgerumfrage wurde dem Verwaltungsausschuss daraufhin vorgelegt. Nach Auskunft des Amtes hat der Ausschuss nach Diskussion in einer öffentlichen Sitzung von der Verwaltungsvorlage „Kenntnis genommen“ (Das entsprechende Protokoll ist öffentlich einsehbar.). Wir bedauern es, dass der Zwist bei den Grünen sich so weit fortsetzte in den vergangenen Tagen, dass die beiden queerpolitischen Sprecher*innen der Partei im Gemeinderat von ihrem Amt zurücktreten mussten.

Bürgerumfrage gibt es seit 1995

Wir verstehen, dass hier eher ein Fall von – lapidar formuliert – „gut gemeint, schlecht gemacht (und zudem doof gelaufen)“ vorliegt. Dennoch heißen auch wir, wie die anderen Verbände und Beratungsstellen, nicht gut, dass die Umfrage mit diesen Formulierungen weiterläuft. Wir müssen alle mehr miteinander reden. Die Expertise des AK LSBTTIQ bei der Stadt muss in Anspruch genommen werden.

Die Stuttgarter Bürgerumfrage gibt es seit 1995. Die Erhebung beinhaltet einen wiederkehrenden Befragungsteil (Standarddemografie; Zufriedenheit mit Lebensbereichen; größte Probleme in Stuttgart; Ausgabeprioritäten u.a.) und dient der laufenden Beobachtung der Zufriedenheit der Bevölkerung in den verschiedenen Lebensbereichen und der Probleme, die die Bürger*innen beschäftigen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit variabler, wechselnder Frageblöcke. Davon hatten die Grünen im Gemeinderat Gebrauch gemacht.