In diesem Jahr fallen der IDAHOBIT, der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit, und der deutsche Diversity-Tag, mit dem Unternehmen ein Zeichen für Vielfalt setzen, fast zusammen. Anlass für uns, das Thema Diskriminierung am Arbeitsplatz zum Schwerpunkt zu machen. Denn wie sonst üblich können wir auch im zweiten Jahr hintereinander Corona-bedingt leider nicht auf die Straße gehen und dort über Diskriminierung und Hasskriminalität informieren. Dafür haben wir bei der Organisation PROUT AT WORK und der LSBTTIQ-Mitarbeitenden-Gruppe von Porsche nachgefragt und Euch ein paar Zahlen zusammengestellt.
Die Akzeptanz von sexueller Identität und selbstbestimmter Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht. Das sehen sowohl unsere Gesetze als auch die internationalen Menschenrechte so vor. Trotzdem findet auch im Jahr 2021 noch Diskriminierung statt. Und Gewalt. Weltweit, auch bei uns in Deutschland. Gesetze bzw. deren Auslegung und Verfolgung der Straftaten sind teils zu lasch – oder es fehlt an wirksamem Diskriminierungsschutz.
2020 gab es mindestens drei schwulenfeindlich motivierte Morde. Alle drei Morde sind bislang nicht in der vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Statistik zu Hasskriminalität gegen LSBTTIQ registriert. 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTTIQ wurden 2020 vom Ministerium verzeichnet. Davon waren 154 Gewalttaten, 144 davon wurden als Körperverletzungen registriert. In einer EU-Erhebung ebenfalls vom vergangenen Jahr berichten 13% der befragten Deutschen, dass sie in den letzten fünf Jahren Gewalt erfahren haben, weil sie LSBTTIQ sind. Hass erfahren weit mehr, und vermutlich ist die Dunkelziffer hier extrem hoch. Ein Teufelskreis, denn wenn Homo- und Transfeindlichkeit, Diskriminierungen und Bedrohungen bagatellisiert oder sogar unsichtbar gemacht werden und Betroffene daher fürchten, von den Behörden nicht ernst genommen zu werden und keinen Schutzstatus und keine Hilfe zu erfahren, dann melden sie Übergriffe natürlich auch nicht. Deswegen versuchen wir auf Landesebene, aber auch der LSVD auf Bundesebene seit Jahren, bei Politik, Behörden und auch Medien zu sensibilisieren. LSBTTIQ-feindliche Gewalt ist keine Randerscheinung der Gesellschaft.
In Baden-Württemberg werden in der jährlichen Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums zwar Taten aufgrund von homo- und transfeindlichen Motiven erfasst, aber nicht separat ausgewiesen. Auch ist die Frage der Einordnung von Hasskriminalität gegenüber LSBTTIQ bei den Beamt*innen und innerhalb der Polizeipräsidien im Land sehr unterschiedlich gelagert.
Geht es um Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz, im Verein oder Bereichen des Alltagslebens, so kann sich jede*r an die Landesantidiskriminierungsstelle des Sozialministeriums wenden. Jedoch ist hier im Bereich LSBTTIQ-Feindlichkeit oftmals schwer zu beweisen, dass ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eindeutig vorliegt. Eine Statistik in diesem Bereich über Anfragen, Fälle allgemein und Fälle, in denen wirklich geholfen werden konnte, liegt nicht vor; leider konnte eine Anfrage an das Sozialministerium Corona-bedingt auch nicht mehr zeitnah beantwortet werden. Und dann gibt es noch einen großen Bereich, wo das AGG nicht greift, aber dennoch natürlich Diskriminierung stattfindet: bei den Behörden selbst. Glücklicherweise verspricht hier die neue grün-schwarze Landesregierung die Schaffung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes.
„Ständig hat mich ein Kollege angefasst und umarmt und machte anzügliche Bemerkungen“
Fälle wie der eines LSVD-Mitglieds aus Heidelberg kommen dann hoffentlich nicht mehr vor bzw. könnte ihm dann geholfen werden. Weil er Nagellack trägt und aus seinem Schwulsein kein Geheimnis macht, wurde er bei seinem studentischen Nebenjob diskriminiert und bedrängt. „Ich wurde nur noch mit der weiblichen Form meines Namens gerufen. Ständig hat mich ein Kollege angefasst und umarmt und machte anzügliche Bemerkungen. Zudem stellten mir viele immer wieder grenzüberschreitende Fragen zu meinem Sexualleben.“ Er hat dann mit Beginn der Pandemie gekündigt und nun einen anderen Nebenjob gefunden. Aber dass er sich allein gelassen fühlte und nicht wusste, wo er sich wirksam hinwenden kann, beschäftigt unser Mitglied noch immer. Der LSVD Baden-Württemberg bekommt öfters solche Fälle geschildert. Wir versuchen dann, weiterzuvermitteln, unter anderem an die Antidiskriminierungsstelle des Landes oder an eine Beratungs- oder Schlichtungsstelle. Aber in der Tat ist es sehr schwierig, solche Situationen zu lösen – und im Straffall auch zur Verfolgung durch die Behörden bringen zu können.
Interview mit Albert Kehrer von PROUT AT WORK
Wie sieht es nun also ganz konkret in der Arbeitswelt aus? Wer kann hier am besten Anwalt von LSBTTIQ sein? Jeweils am Diversity-Tag zeigen Unternehmen, die der Charta der Vielfalt beigetreten sind, ihre eigene Vielfalt. Aber zu einem guten Diversity-Management gehört eben auch, sich mit den Schattenseiten zu beschäftigen. Was tun Unternehmen gegen Diskriminierung? Wir haben mit Albert Kehrer gesprochen. Albert ist Mit-Stifter und ehrenamtlicher Vorstand von PROUT AT WORK. Die gemeinnützige Stiftung setzt sich in ihrer Arbeit für die Chancengleichheit von LSBTTIQ am Arbeitsplatz ein. Über 50 Unternehmen arbeiten mit der Stiftung zusammen, für mehr Wertschätzung und weniger Diskriminierung. Albert hat vor fast 20 Jahren das LGBT-Netzwerk bei der IBM in Deutschland gegründet und engagiert sich seitdem bei diesem Thema. Er sagt, die Gründung der Stiftung 2013 hat dem Thema an sich enorm viel Schwung gegeben, und die Stiftung sei heute DER Think Tank zu LSBTTIQ am Arbeitsplatz in Deutschland.
Wie siehst Du das Diskriminierungspotenzial in Unternehmen?
Das Potenzial ist immer groß, weil Diskriminierung von Menschen ausgeht. Unternehmen haben zwar meist ein großes Commitment zu Diversity, ob sich dabei dann alle daran halten, ist aber schwierig zu sagen. Bei uns melden sich aber nur selten Menschen, die von Diskriminierungserfahrungen berichten. Da, wo es der Fall ist, bieten wir natürlich Hilfe an. Meist sind das aber dann sehr kleine Unternehmen oder öffentliche Arbeitgeber. Erstere weigern sich meist, mit uns zu sprechen, letztere sind an das AGG nicht gebunden und sehen auch keinen Bedarf, hier aktiv zu werden. Ich muss aber sagen, dass das alles Ausnahmefälle sind. Grundsätzlich gibt es in den letzten Jahren ein gesteigertes Interesse, auch in unserem Thema tätig zu werden. Das freut uns natürlich.
Viele Unternehmen, vor allem die großen, sind der Charta der Vielfalt beigetreten. Wie sieht es da mit der Umsetzung in den Unternehmen aus? Wir haben oft das Gefühl, dass das auch eine Art Lippenbekenntnis ist, aber wenn es dann konkret um etwas geht, beispielsweise um Geld und Unterstützung für eine Aktion, dann steht die Belegschaft weiterhin im Regen.
Die Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, wirken auf uns so, dass ihnen das Thema auch richtig wichtig ist. Der Fachkräftemangel ist einfach bei den Unternehmen angekommen, und es lässt sich so leicht nicht jede offene Stelle besetzen. Sicherlich können die Unternehmen immer noch einen Tick mehr machen, manche stehen noch relativ am Anfang, aber der gute Wille ist erst mal da. Mit dem Geld ist das immer so eine Sache. Als ich damals das LGBT-Netzwerk bei meinem Arbeitgeber gegründet hatte, war kein Geld für das Netzwerk eingeplant, wir mussten jedes Mal aufzeigen, welchen Mehrwert es für die Firma hat. Das hat mich gelehrt, dass wir als Community auch lernen müssen, die richtigen Argumente für die jeweiligen Aktivitäten zu sammeln. Heute gibt es insgesamt mehr Support für LSBTTIQ-Themen in Unternehmen.
Wir erarbeiten gerade ein Tool für Unternehmen, wo sie ihren eigenen Reifegrad zu LSBTTIQ Diversity erkennen können, aber auch genau wissen, was sie noch tun müssen, damit sie einen Schritt weiterkommen. Letztlich geht es darum, dass sich die Unternehmen nach Vorne bewegen und nicht stehen bleiben. Dann haben wir gewonnen. Bei einigen Unternehmen geht es schneller voran, bei anderen langsamer.
Was können Firmen konkret im Diversity Management tun – und wie können sie das dezentral in Pandemie-Zeiten tun? Denn Corona hat Sichtbarkeit ja nicht gerade einfacher gemacht.
Die Unternehmen können viel tun, auch während der Pandemie. Über Artikel im Intranet kann über das Thema berichtet werden, der Vorstand kann Videobotschaften senden, nach Außen können Unternehmen sichtbar werden und Zeichen setzen. Jetzt zum IDAHOBIT bzw. zum Diversity-Tag, aber auch grundsätzlich im Jahr. Wenn es nur während der Pride ist, ist es sicherlich nicht sehr glaubwürdig. Aber übers Jahr verteilt gibt es viele Möglichkeiten, Stellung zu LSBTTIQ-Themen zu beziehen: Thema Blutspende, die Aktionen zur Erweiterung des Artikels 3 im Grundgesetz oder die zunehmende Diskriminierung von LSBTTIQ in Polen und Ungarn. Ich stelle fest, dass in manchen Unternehmen Diversity während der Pandemie sogar mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit bekommen hat. Über die virtuellen Formate erreichen Unternehmen viel mehr Menschen.
Wie ist das mit straight allies in Firmen? Ist das Thema, wird das mitgedacht?
Das Thema ist mitgedacht; in vielen Unternehmen wären die Mitarbeiter*innennetzwerke viel zu klein ohne die Allies. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass aus den Netzwerken heraus noch mehr Ideen gefunden werden müssten, wie sie die Allies zum Thema schulen und in Aktivitäten mit einbinden. Nur den Regenbogen in die Signatur zu stellen, macht ja noch keinen Ally aus.
Wie können Unternehmen Sichtbarkeit auch nach außen (glaubhaft) transportieren, etwa jenseits eines CSDs? Gibt es Punkte, da wird’s zu kommerziell oder irgendwie komisch? Antonia Wadé von Audi spricht ja auch von „Diversity-Dimensionen“, die ein Unternehmen im Blick haben sollte. Als ich vor zwei Jahren in München auf dem CSD war, dachte ich auch mal kurz, ich sei auf einer queeren Job-Messe, da haben sehr viele Unternehmen Trucks gestellt. Das war dann auch irgendwie komisch.
Für viele wird der CSD zu kommerziell und doch müssen wir die Anwesenheit der Corporates akzeptieren. Irgendwie müssen die tollen Parties, die die Community haben will, auch finanziert werden. Bei den Paraden gibt es vo rallem seit zwei Jahren einen enormen Zuwachs der Corporates, und nicht alle davon machen LGBT*IQ-Diversity oder haben ein Netzwerk. Bei einigen ist es tatsächlich Pinkwashing. Das kann allerdings nicht jede*r sofort erkennen. Auch auf einer queeren Jobmesse präsent zu sein, macht noch kein LGBT*IQ-freundliches Unternehmen, im Gegenteil, auch da sehen wir einige Unternehmen, die da nur sind, weil es gerade in ist. Wie ernst ein Unternehmen es meint, können wir nur erkennen, wenn wir uns mit dem Unternehmen auseinandersetzen: Wo sind sie zum Thema sichtbar, wie lange sind sie zum Thema schon engagiert, wie machen sie das, haben sie ein Netzwerk, kommunizieren sie auch außerhalb des CSDs zu LGBT*IQ-Themen etc.? Ich finde es aber erst einmal gut, dass die großen Unternehmen sich in der Community zeigen. Wenn sie es nicht glaubwürdig betreiben, werden sie es selbst schnell merken.
In der Community ist Intersektionalität ja gerade ein großes Thema – ist das auch in den Unternehmen angekommen? Und wenn wir von Mehrfachdiskriminierung reden, würdest Du dann sagen, lesbische Frauen sind da tatsächlich eher gefährdet? Ist Lesbisch-Sein ein Karriere-Hindernis? Und wird das zusammen mit Familie/Teilzeit thematisiert? Gerade in diesem Bereich ist Diskriminierung konkret ja auch schwer nachzuweisen – und oft ein Dilemma, wenn frau in Teilzeit ihren Job nicht verlieren möchte – oder die Position verschlechtern.
Die Mehrfachdiskriminierung von Lesben existiert, keine Frage, das hat ja die Studie der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld vom letzten Jahr bewiesen. Aber Intersektionalität ist ja noch viel vielschichtiger – wenn die Lesbe womöglich noch aus einem anderen Kulturkreis kommt oder der Schwule eine körperliche Einschränkung hat. Sind Lesben eher an der Karriere gehindert als Schwule? Ich glaub, das lässt sich schwer herausfinden. Das DIW hat aber vor zwei Jahren herausgefunden, dass Lesben mehr verdienen als Schwule. Und jetzt wird es schwierig. Wir alle unterliegen Stereotypen und Vorurteilen. Unsere Aufgabe als Aktivist*innen ist es, bei unseren jeweiligen Gesprächspartner*innen auf die Probleme hinzuweisen und dabei möglichst auch gleich Lösungen anzubieten und einen Mehrwert aufzuzeigen.
Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Thema. Es ist nicht mehr die Mehrheit, die das klassische Familienbild lebt, die Welt ist bunter geworden: Vater-Mutter-Kind, Alleinerziehende, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Pflegeelternschaften u.v.m. Dadurch, dass wir auf das Thema hinweisen, können wir den Arbeitgeber*innen die Augen öffnen. Denn wenn sie sich auf die Community zum Thema Vereinbarkeit einstellen, haben sie auch gleich die Lösung für Alleinerziehende und Patchworkfamilien. Der Zusammenhang ist ja größer, also eigentlich dann eine Win-Win-Situation.
Danke für das Gespräch, Albert!
PROUT AT WORK hat für den 22. Juli den ersten PRIDE DAY GERMANY ausgerufen. Die Stiftung will, dass Unternehmen ihren Pride sichtbar machen. Außerhalb der CSD-Paraden, während der Woche, gegenüber ihren Mitarbeiter*innen und Kund*innen. Quasi ein Commitment zu Aktivitäten über Diversity-Tag und CSDs hinaus. „Wir wollen, dass sie sich überlegen, wie bringen wir das Thema ins Unternehmen rein, wie schaffen wir Verständnis“, so Albert. „Wir sind gespannt, wie viele Unternehmen mitmachen. Je mehr Unternehmen sich öffentlichkeitswirksam zeigen, desto mehr müssen sie sich rechtfertigen, wenn es negative Meldungen gibt. Je mehr sie sich aber zeigen, desto mehr verstehen die Mitarbeiter*innen aber, dass das ein wichtiges Thema im und für das Unternehmen ist und dass diskriminierendes Verhalten nicht erwünscht ist. Alle öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen haben somit auch einen Einfluss auf die Unternehmenskultur.“
Alle Infos hierzu gibt es unter www.pridedaygermany.de. Mitmachen erwünscht!
Zum Interview mit Claudia Feiner, Gründerin von Proud@Porsche und Initiatorin eines unternehmensübergreifenden LSBTTIQ-Mitarbeitenden-Netzwerks Südwest, geht es hier.