LSVD Baden-Württemberg begrüßt „Stuttgarter Erklärung“ – Straftatbestand Hasskriminalität weiter differenzieren

Der Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg (LSVD) begrüßt die Entscheidungen der Innenministerkonferenz zum Thema Hasskriminalität, sieht aber nach wie vor Nachbesserungsbedarf bei der Erfassung entsprechender Straftaten und fragt sich, wie die „Stuttgarter Erklärung“ konkret und praxistauglich umgesetzt werden soll.

Bei ihrer Sitzung Ende vergangener Woche befasste sich die Innenministerkonferenz zum ersten Mal mit dem Thema Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Als Beschluss bat das Gremium das Bundesinnenministerium, eine unabhängige Fachkommission einzuberufen und veröffentlichte eine fünf Seiten lange „Stuttgarter Erklärung“, eine Art Selbstverpflichtung, gemeinsam gegen Hasskriminalität und Hate Speech vorzugehen – on- und offline. Dies könnte der Beginn einer abgestimmten Politik gegen Hasskriminalität sein. Der LSVD Baden-Württemberg begrüßt wie der LSVD-Bundesverband das Vorhaben. „Bereits zwei Mal stand ein nationaler Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie im Koalitionsvertrag der ehemaligen Großen Koalitionen. Umgesetzt wurde leider nichts“, so Kerstin Fritzsche vom Vorstand. „Dafür ist es sinnvoll, erst einmal eine Basis zu schaffen, aufgrund derer Hasskriminalität gegen queere Menschen überhaupt breit und sinnvoll erfasst und analysiert werden kann. Jetzt gibt es eine erneute Chance dazu, und das zukünftige Bundesinnenministerium könnte und sollte das entsprechend umsetzen.“

Polizeiliche Kriminalstatistik BW weist queerfeindliche Straftaten nicht gesondert aus

Allerdings sieht der LSVD Baden-Württemberg auch weiterhin die Länder in der Pflicht. Vor allem die Kriminalstatistiken der Länder müssen sich ändern. Unter den Bundesländern veröffentlicht lediglich Berlin regelmäßig die gemeldeten Zahlen von Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen, nun will Bremen dem Beispiel folgen. „Seit drei Jahren haben wir als Verband regelmäßig beim baden-württembergischen Innenministerium und dem Staatsministerium nachgefragt, ob die grün-schwarze Landesregierung Fälle von Hasskriminalität und Gewalt gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen gesondert erfassen und in der jährlichen Kriminalstatistik entsprechend ausweisen möge“, so Fritzsche.

„Denn in Baden-Württemberg können sich momentan entsprechende Taten bei politisch motivierter Kriminalität statistisch niederschlagen, bei Straftaten im öffentlichen Raum oder bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – oder ganz woanders. Bei den Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung gibt es neun Nuancen. Seit 2018 wird die Nationalität der Täter:innen erfasst, auch Angriffe gegen Justizbeamt:innen werden mittlerweile gesondert in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Landes ausgewiesen. Da muss es doch auch möglich sein, explizit Unterschiede bei der Art gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu machen. Zudem bräuchten wir dringend eine Aufsplittung von Hasskriminalität nach Online und Offline sowie Motivlage. Nur das Kriterium ‚Hasskriminalität‘ reicht nicht aus.“

Die Antwort jeweils: Man nehme das Thema ernst, sehe aber keinen Änderungsbedarf. Dabei kann auch passieren, dass Fälle beziehungsweise Anzeigen bei der Polizei nicht richtig erfasst und anderen internen Kategorien zugeordnet werden. Dann ist das Motiv offiziell unbekannt oder ein anderes. Auch im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg spielte das Thema leider so gut wie keine Rolle. Der LSVD hatte Innenminister Strobl bereits im Januar angeschrieben, auch damals schon ging es darum, das Thema Hasskriminalität gegen queere Menschen auf die Agenden zu setzen. Die Antwort bekam der Verband einen Tag nach der Landtagswahl.

Beim Wahlcheck des LSVD Baden-Württemberg antwortete die CDU Baden-Württemberg auf die Frage nach einer speziellen Ausweisung von queerfeindlichen Straftaten in der Kriminalstatistik, das vorhandene Kriterium ‚Hasskriminalität‘ beinhalte doch auch Tathandlungen gegenüber Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität.

Hasskriminalität gegenüber LSBTTIQ nimmt zu

Hassverbrechen gegen queere Menschen nehmen zu. In ganz Deutschland registrierte das Bundeskriminalamt 2018 rund 300 entsprechende Straftaten, 2019 schon 564 und im letzten Jahr fast 800. Dabei nimmt der Anteil der Gewalttaten zu. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer nach wie vor sehr hoch ist und der Großteil der Beleidigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen nicht angezeigt wird. Selbst drei 2020 bekannt gewordene Morde mit Motiv Hass auf Schwule wurden nicht in die Statistik aufgenommen. Ein gesellschaftliches Klima, das von Hass geprägt ist und in dem vermittelt wird, die Täter:innen müssten keine Verfolgung befürchten, sorgt dafür, dass queere Menschen sich nicht wirklich frei fühlen und bewegen können. Eine Studie der EU-Grundrechte-Agentur kam 2020 zu dem Ergebnis, dass 45 Prozent queerer Menschen in Deutschland Händchenhalten in der Öffentlichkeit aus Angst vor Anfeindung lieber vermeiden und dass fast jede:r schon einmal bedroht oder beleidigt wurde.

Was heißt konkret: Aufklärungs- und Präventionsarbeit „passgenau“ stärken?

Deswegen ist richtig, dass auch eine bessere Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung von Polizeien und Behörden erfolgen muss. In der „Stuttgarter Erklärung“ heißt es: „Für Menschen bzw. Gruppen, die bspw. aufgrund ihrer Funktion, Religion, Sexualität, Herkunft oder ihres Geschlechts regelmäßig Ziel von Hass und Hetze werden, müssen passgenaue Präventionskonzepte erarbeitet und weiterentwickelt werden, um ihnen Hilfe und Unterstützung im Umgang damit anzubieten.“ Dies thematisiert und fordert der LSVD schon seit langem. Die Frage ist, wie das jetzt konkret umgesetzt werden kann und wer solche Konzepte macht. „Die Innenminister:innen und -senatoren haben es ja in der Hand, genau dies in die Wege zu leiten. Speziell in Baden-Würtemberg könnte dafür auch auf die Erfahrungen anderer Ministerien, v.a. des Sozialministeriums, zurückgegriffen werden“, vermutet Fritzsche. „Wir als Landesverband stünden zur Beratung bereit, zudem gibt es das breit aufgestellte Landesnetzwerk LSBTTIQ.“

Hintergrund:

Baden-Württemberg hat seit Anfang des Jahres den Vorsitz der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder inne. Das Gremium hielt vergangene Woche vom 1. bis 3. Dezember seine Herbstkonferenz hybrid und in Stuttgart ab. Der LSVD-Bundesverband hatte zuvor zusammen mit den Landesverbänden ein Positionspapier zu Hasskriminalität gegen queere Menschen verfasst und die Innenministerkonferenz angeschrieben und gebeten, das Thema auf die Agenda zu setzen.

Der Begriff „Stuttgarter Erklärung“ wurde bereits mehrfach, mindestens drei Mal, für verschiedene Anliegen genutzt. Übrigens zuletzt 2015 als Aktion für mehr Akzeptanz für und einen anderen Umgang mit transgeschlechtlichen und intersexuellen Menschen.