IDAHOBITA 2023 am 17. Mai auf dem Stuttgarter Marktplatz

Am 17.5., dem Internationalen Protesttag gegen LSBTTIQ+A-Feindlichkeit, haben wir gegen die zunehmende Gewalt gegen queere Menschen demonstriert – hier in Deutschland und weltweit.

Die Gewalt gegen queere Menschen nimmt rasant zu: Die Statistiken des Bundesinnenministeriums, des baden-württembergischen Innenministeriums und regierungsferner Organisationen zeigen einen seit Jahren anhaltenden Anstieg bei der Anzeige queerfeindlicher Gewalt. Kaum ein CSD im letzten Jahr verlief ohne Gewalt durch Angriffe auf Teilnehmende, Regenbogenfahnen wurden verbrannt wie in Karlsruhe 2022, und in Münster erlag Malte C. den Folgen eines brutalen Angriffes beim CSD. In den USA gab es in den letzten Monaten über 300 queerfeindliche Gesetzesinitiativen, und auch die Gewalt gegen queere Menschen in einigen unserer Nachbarländern nimmt weiter zu. Queere Menschen erfahren jedoch nicht nur physische Gewalt – tägliche Diskriminierung, Beleidigung, abschätzige Blicke und mangelnde soziale Teilhabe sind ebenso an der Tagesordnung, insbesondere, wenn mehrere Diskriminierungsebenen zusammenkommen.

Die musikalische Begleitung kam von Nicole Vielbauer und Linda Wirth.

Ein gemeinsamer Aktionstag von: 100% Mensch, Enough is Enough, IG CSD Stuttgart, Fetz, LSVD Baden-Württemberg, Mission Trans, Queerdenker, Aids-Hilfe Stuttgart, Der Liebe wegen, Abseitz, Just Human

Die Rede von Vorstandsmitglied Kerstin Rudat:

Ich komme mir etwas redundant vor. Seit Jahren rede ich jedes Jahr zum IDAHOBITA davon, dass es leider immer noch zu viele Länder in dieser Welt gibt, nämlich 68, in denen Homo-, Bisexualität und jeglicher Ausdruck von Queerness verboten ist, bestraft wird oder sogar unter Todesstrafe steht. Diese traurige Liste ändert sich leider nicht.

Auch an einem anderen Punkt rede ich immer noch über die gleiche Problematik: Zwar hat sich laut der International Lesbian and Gay Association, der ILGA, mit der wir als LSVD zusammenarbeiten, in Europa einiges verbessert. Aber es sind immer noch 20 von 49 Ländern, die keine Gesetzgebung gegen queerfeindliche Hasskriminalität haben. Und in 28 Ländern gibt es keinen gesetzlichen Schutz vor Angriffen auf die eigene sexuelle oder geschlechtliche Identität. Wir beobachten die Situation sehr genau; der LSVD vertritt momentan noch bis 2024 die Zivilgesellschaft durch einen Co-Vorsitz in der Equal Rights Coalition.

Wir müssen aber auch über Deutschland reden. Auf der Rainbow Map der ILGA, dem Index für die europäischen Länder über den gesellschaftlichen und rechtlichen Status bezüglich LSBTTIQ-Rechten, stagniert Deutschland auf einem mittleren 12. Platz. Zu viele versprochene Gesetzesvorhaben sind immer noch nicht umgesetzt!

Hinzu kommt die gesellschaftliche Komponente nach Corona. Nachdem wir alle eh schon unsichtbar geworden sind und uns nur noch schwer sehen und vernetzen konnten, müssen wir wieder mehr Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt erfahren. Im vergangenen Jahr sind die registrierten Fälle von Hasskriminalität gegen queere Menschen erneut gestiegen. Das Bundesinnenministerium listete insgesamt 1.422 Straftaten und 309 Gewaltdelikte. Und das sind nur die angezeigten Fälle. Die hohe Dunkelziffer ist nach wie vor unser Problem. Wir schätzen sie auf 80 bis 90 Prozent. In einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima mit rechter Stimmungsmache im Mainstream geht niemand so gern zur Polizei. Queere Menschen werden dämonisiert, rechter Hass und Hetze werden salonfähig.

Aber: Unsere Existenz steht nicht zur Debatte; queere Rechte sind Menschenrechte!

Die Bundesregierung hatte zum Start einen queerpolitischen Aufbruch versprochen. Jetzt müssen alle Politiker:innen der Community zeigen, dass sie im Kampf um Akzeptanz an unserer Seite stehen, indem sie die angekündigten umfassenden Gesetzesänderungen in den Bereichen Abstammungsrecht, Antidiskriminierung und Selbstbestimmung sowie bei der Ausweitung des Grundgesetzes auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt endlich umsetzen!

Der LSVD begrüßt auf Landesebene hier in Baden-Württemberg die Einrichtung einer „Koordinationsstelle zur Informationsvermittlung und Opferberatung im Kontext von Gewalt und sexualisierter Gewalt an trans*, inter* und nicht-binären Menschen“ durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration als Ergänzung zur schon existierenden Beratung. Wir müssen aber weiterhin anmahnen, dass die „Stuttgarter Erklärung“ von Dezember 2021 der Innenministerkonferenz ihre Umsetzung findet. Hier wurde sich unter Federführung von Baden-Württemberg dafür ausgesprochen, dass eine Fachkommission gegen queerfeindliche Hasskriminalität gebildet wird und ein entsprechender Nationaler Aktionsplan startet. Der erste Bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen soll eigentlich für die diesjährige Herbstkonferenz vorliegen. Aber bislang ist nichts passiert!

Zudem ist es wichtig, alle Maßnahmen nicht isoliert zu betrachten. Sondern eine erfolgreiche Bekämpfung von Queerfeindlichkeit kann nur im Zusammenhang mit Prävention und Bekämpfung anderer Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gelingen! Wir fordern eine intersektionale Perspektive und einen Blick auf Mehrfachdiskriminierungen! Denn nicht mit uns! Wir lassen uns nicht durch Hass und Hetze auseinanderbringen!