
Am 20. Mai 2025 hat die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg die Neufassung des landesweiten Aktionsplans „Für Akzeptanz & gleiche Rechte“ verabschiedet. Der LSVD+ BW begrüßt die darin enthaltenen Maßnahmen. Wir mahnen aber, angesichts des anhaltenden Rechtsrucks und erodierender Sozialausgaben auch politisch alles dafür zu tun, nicht wieder hinter die schwer erkämpften Strukturen zurückzufallen.
Der neue Aktionsplan baut auf dem ersten von 2015 auf und bündelt 71 Ziele und 126 konkrete Maßnahmen in acht Handlungsfeldern: Bildung, Familie und Jugend, Arbeit, Pflege und Gesundheit sowie Behinderung, Forschung und Kultur/ländlicher Raum, Ehrenamt und Sport, geschlechtliche Vielfalt, Sicherheit und Gewaltschutz. Die Ziele und Maßnahmen wurden unter breiter Beteiligung der queeren Communities, Vereine und Verbände in Baden-Württemberg erarbeitet. Auch der LSVD+ BW konnte sich an mehreren Stellen einbringen.
Viele Impulse und Vorschläge aus verschiedenen Ebenen des Prozesses sind mit eingeflossen
Wir begrüßen die Neufassung des Aktionsplans und die darin enthaltenen Maßnahmen. „Besonders schön finden wir, dass verschiedene Impulse und Ergebnisse aus dem Beteiligungsprozess aufgegriffen wurden“, so Kerstin Rudat aus dem Vorstand. „Handlungsfeld 5 zu Strukturen in Ehrenamt, Sport und Inklusion hat vorher wirklich gefehlt. Während der letzten zehn Jahre hat sich gezeigt, dass in diesen Bereichen besondere strukturelle Probleme und Barrieren existieren und daher Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachkräften jetzt die besondere Aufmerksamkeit und Aufbauarbeit bekommen können, die vonnöten ist. In diesem Sinne war es auch sinnvoll und höchste Zeit, die großen Landes-Sportverbände mit am Prozess zu beteiligen“, so Rudat.
„Und dass ein Handlungsfeld zu Gesundheit, Pflege und Behinderung neu entstanden ist, weil der Bedarf durch die Online-Befragung sichtbar wurde, ist besonders begrüßenswert. In einer alternden Gesellschaft mit wachsenden sozialen und ökonomischen Unterschieden, in der Zugänge und Ressourcen der Gesundheitsversorgung ungleich verteilt sind, stehen wir hier vor immer größeren Herausforderungen – und in den Communities nicht selten vor einer Doppel- oder sogar Dreifachdiskriminierung. Auf diese Entwicklungen muss Politik Antworten haben. Es ist sehr gut, dass besonders hier sehr viele Impulse und Ideen, auch niedrigschwellige, in den Aktionsplan mit aufgenommen wurden.“
Sensibilisierung von Jugendämtern und Fachkräften noch weiter vorantreiben
Beim Handlungsfeld Kindheit, Jugend & Familie haben es von den ursprünglich über 30 Maßnahmen 11 Maßnahmen in den Aktionsplan geschafft. „Wir freuen uns, dass es darunter Maßnahmen gibt, die zum Ziel haben, Fachkräfte zu qualifizieren und zu sensibilisieren und Angebote für Kinder, Jugend und Familien gestärkt werden sollen. Auch sollen Jugendämter sensibilisiert werden, Regenbogenfamilien als Adoptiv- oder Pflegeeltern mehr in Betracht zu ziehen“, so Katharina Binder, ebenfalls aus dem Vorstand.. Der LSVD+ BW hätte sich in diesen Bereichen noch konkretere Maßnahmen gewünscht.
Auch im Handlungsfeld Bildung sieht der LSVD+ BW noch viel mehr Potential. Es ist begrüßenswert, dass bereits schulpsychologische Fachkräfte und Beratungslehrkräfte zu LSBTIQ+-Themen qualifiziert wurden. Aber wie viele waren das in den vergangenen zehn Jahren? Es sollten alle Fach- und Lehrkräfte zu dem Thema geschult und danach regelmäßig sensibilisiert werden. im neuen Aktionsplan wird thematisiert, dass LSBTIQ+-Lehrkräfte unsicher vor einem Coming-out sein könnten, wodurch ihre pädagogische Professionalität beeinträchtigt werden kann. Aus Rückmeldungen von Lehrer:innen und pädagogischen Fachkräften bei uns im Verband und in unserem Umfeld sehen wir die Sache aber eher umgekehrt: Nicht die pädagogische Professionalität wird dadurch beeinträchtigt, beeinträchtigt wird das Wohlbefinden von Lehrkräften am Arbeitsplatz. Es sollte ihnen geholfen werden, dass sie nicht unsicher sein müssen, ob sie sich nun outen können oder nicht, vor allem wenn sie die ebenfalls genannte Vorbild-Funktion erfüllen sollen.
Es braucht eine LSBTTIQ-Koordinierungsstelle im Kultusministerium
Zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Interessenvertretungen sollen für die Schulgemeinschaft mit einbezogen werden, vor allem ihre Perspektive und Expertise in die Gestaltung von Informations- und Fortbildungsangeboten. Damit können externe Schulaufklärungsprojekte in die Schulen kommen – das ist gut -, aber wie wird die Schulaufklärung flächendeckend gewährleistet bzw. wie werden dafür Strukturen geschaffen und wie wird sie langfristig finanziert? Dies ist beispielsweise schon lange auch eine Forderung der Themengruppe Bildung innerhalb des Landesnetzwerkes LSBTTIQ.
Ebenso hat die Themengruppe die Einrichtung einer Koordinierungsstelle im Kultusministerium gefordert. Denn auch im Kultusministerium und im Wissenschaftsministerium braucht es Ansprechpersonen für das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Der neue Aktionsplan nennt hier nur bestehende Ansprechpersonen an den Hochschulen im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit. Das ist zu wenig. Auch kann das ZSL, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung BW, nicht alleine das Thema koordinieren.
Kampf gegen Diskriminierung und Gewalt muss auf breiter Ebene erfolgen
Natürlich war das Sozialministerium federführend bei der Weiterentwicklung des Aktionsplans, und deswegen vereinigen sich die meisten Maßnahmen auch auf den Zuständigkeitsbereich des Sozialministeriums. Gerade zur Erreichung der übergeordneten Ziele und damit in Baden-Württemberg „Akzeptanz und Vielfalt nicht nur Ziele, sondern gelebte Realität sind“, wie es im Aktionsplan so schön heißt, hoffen wir auf ein breites Engagement aller Ressorts.
Dies ist auch im Hinblick auf die bevorstehende Landtagswahl und den gegenwärtigen Rechtsruck wichtig. Diskriminierung und Gewalt entschlossen entgegenzutreten, Probleme abzubauen, Strukturen zur Förderung und zur Teilhabe aufzubauen und letztlich eine Gesellschaft zu ermöglichen, in der LSBTTIQ+ angstfrei leben können, ist Aufgabe aller demokratischen Parteien.
Der neue Aktionsplan ist hier auf den Seiten des Sozialministeriums einsehbar.