In dieser Woche wird der grün-schwarze Koalitionsvertrag dieser Legislaturperiode ein Jahr alt. „Jetzt für morgen“ heißt der „Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg“ von Grünen und CDU. Sehr viel Erneuerung versprach das 162-Seiten-Werk in der Tat in Sachen Antidiskriminierungsarbeit und LSBTTIQ-Rechten. Was ist schon umgesetzt, was auf dem Weg, wo hakt’s noch?
„Die erneute Auflage des Erfolgs-Regierungsbündnisses Grün-Schwarz hatte sich vor einem Jahr im Bereich Antidiskriminierungsarbeit und Gleichstellung von queeren Menschen in Baden-Württemberg viel vorgenommen. Noch nie zuvor war ein Koalitionsvertrag querschnittsmäßig und ressortübergreifend so prall gefüllt mit Maßnahmen gegen Diskriminierung“, so Kerstin Rudat vom Vorstandsteam des Lesben- und Schwulenverbands Baden-Württemberg e.V.. „Umso wichtiger ist, jetzt jedes Jahr draufzuschauen, was bereits erreicht bzw. eingehalten wurde.“
An sieben Stellen im Koalitionsvertrag ist von LSBTTIQ bzw. für LSBTTIQ relevanten Vorhaben die Rede. Doch was davon wurde bereits umgesetzt, was ist auf dem Weg, und wo hakt es noch?
Was bereits geschehen ist:
Besonders erfreulich ist, dass der Aktionsplan „Für Akzeptanz und gleiche Rechte“ fortgeschrieben wurde. Er umfasst mit 600.000 Euro pro Jahr den höchsten Betrag seit Bestehen. Damit ist neben vielen anderen Einzelinitiativen v.a. die Arbeit des Netzwerkes LSBTTIQ Baden-Württemberg weiterhin gewährleistet.
Zum Monitoring der Folgen aus der Corona-Krise wurde im März die Enquete-Kommission „Krisenfeste Gesellschaft“ eingesetzt, die mit einem Bürger:innenbeteiligungsprozess begleitet werden soll. Das begrüßen wir. Natürlich liegt hier der Fokus auf den Feldern Gesundheitsversorgung und Krisenvorsorge. Wir hoffen aber, dass im Handlungsfeld „Bürgergesellschaft“ die Situation von LSBTTIQ während der Corona-Krise in der Kommission ihre Betrachtung findet. Denn LSBTTIQ und Regenbogenfamilien hatten bei den Schutz- und Eindämmungsmaßnahmen besondere Verletzlichkeit und Diskriminierungen erfahren.
Was auf dem Weg ist:
Hasskriminalität ist nach wie vor eines der größten Probleme. Laut des aktuellen Sicherheitsberichts 2021 des baden-württembergischen Innenministeriums zählt jede sechste politisch motivierte Straftat im Land zur Hasskriminalität. Zudem haben seit der Pandemie Beleidigungen und Übergriffe generell und auch gegenüber LSBTTIQ zugenommen. Auch der LSVD BW bekam in dieser Hinsicht vermehrt Anfragen und Rückmeldungen. Die grün-schwarze Landesregierung hat in einem Jahr zwar eine Forschungsstelle Rechtsextremismus eingesetzt. Das wichtigste Instrument im Kampf gegen Beleidigungen, Bedrohungen und Co. fehlt aber noch: ein Landesantidiskriminierungsgesetz nach Berliner Vorbild, welches die Lücken des AGG schließt und das Anzeigen und Verfolgen von Diskriminierungen im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns ermöglicht. Der LSVD Baden-Württemberg hatte im Landtagswahlkampf ein solches Gesetz zusammen mit 60 anderen Verbänden und Initiativen gefordert. Bereits im Juli 2013 war Baden-Württemberg der „Koalition gegen Diskriminierung“ beigetreten, lange war nicht viel passiert. Nachdem die Schaffung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes tatsächlich im Koalitionsvertrag verankert wurde, wird seit letztem Jahr versucht, mit Akteur:innen, v.a. der Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung, in einem Beteiligungsverfahren die Grundlage für das Gesetz zu erarbeiten. Es ist also auf dem Weg – nur Corona hat hier wie bei so vielem im Ehrenamt den Prozess verzögert. Zusätzlich würde hier aber sicherlich helfen, Gewalt gegen LSBTTIQ als eigene Kategorie in der Kriminalstatistik zu erfassen. Die Dunkelziffer ist nach wie vor hoch; Menschen sollten zu Anzeigen ermutigt werden, sonst kann sich die Aufklärung nie verbessern.
Im Koalitionsvertrag ist die Selbstverpflichtung verankert, den Bedarfen besonders schutzbedürftiger Geflüchteter gerecht zu werden, worunter Grün-Schwarz auch LSBTTIQ zählt, weil sie besonders gefährdet seien, Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu werden. Hier sind bereits Austausch, Kooperation und Konzeption mit den entsprechenden Hilfe-Netzwerken gestartet, wir begrüßen das.
Was noch fehlt:
Im Bereich Bildung hat sich der LSVD BW mehr Verankerung von Regenbogenkompetenz in den Schulen erhofft, gerade auch, weil diese ein großes Querschnittsthema bei den Bildungsplänen darstellt. Im Koalitionsvertrag steht das Vorhaben, Lehrer:innen hinsichtlich der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ konsequent schulen zu wollen. Wir sind gespannt, wie das gelingen kann, mit nur einer Ansprechperson für queere Themen beim Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode waren fehlende feste Ansprechpersonen in den Schulen für LSBTTIQ-Themen und fehlende Sichtbarkeit in Lehrmaterialien in den Fokus gerückt. Wir fordern daher nach wie vor eine Evaluation von Schulbüchern und Lehrmaterialien hinsichtlich queerer Vielfalt sowie weitere Anstrengungen im Kultusministerium bei der Umsetzung der Leitperspektive im Unterricht.
Nach dem Vorbild eines entsprechenden Nationalen Aktionsplans auf Bundesebene plant die Landesregierung laut Koalitionsvertrag einen Aktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung in Baden-Württemberg. Da es bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und ihren Diskriminierungsformen generell um Menschenrechtsfragen geht, erwarten wir uns hier auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Homo- und Transfeindlichkeit.
Was noch gar nicht stattfinden konnte: der angekündigte Einsatz der Landesregierung zur Stärkung von Regenbogenfamilien im Bundesrat, wo Baden-Württemberg eine starke Stimme habe. Wir sind gespannt, ob die Bundesregierung ein verändertes und angepasstes Abstammungsrecht, das endlich Zwei-Mütter-Familien gleichstellt, noch dieses Jahr einbringen wird. Auf jeden Fall werden wir uns auf Landesebene weiterhin vehement dafür einsetzen.