Seit dem 1. November gilt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland. Nach unseren Recherchen wird von der Möglichkeit zur Anmeldung, um den Geschlechtseintrag bei den Kommunen ändern zu lassen, in Baden-Württemberg sehr stark Gebrauch gemacht.
Schon seit dem 1. August konnte der Wunsch auf Änderung angemeldet werden. In Mannheim hatten sich laut „Mannheimer Morgen“ allein schon in der ersten August-Woche 38 Menschen angemeldet, aktuelle Zahlen liegen uns nicht vor. In Heidelberg hatten sich allein bis Mitte September 109 Menschen laut „Stuttgarter Nachrichten“ angemeldet. In Freiburg hatten bis Ende der ersten November-Woche laut SWR 105 Menschen ihren Wunsch auf Änderung angemeldet. In Friedrichshafen waren es laut „Schwäbischer Zeitung“ bis Ende Oktober 7 Anmeldungen und bis Mitte Oktober in Ulm 43, in Ehingen 8 und in Biberach 7. Die „Südwest Presse“ meldete für Reutlingen bis zum 8.11. 8 Anmeldungen.
Auch in der Region Stuttgart haben viele Menschen Gebrauch von der Meldemöglichkeit gemacht, wie eine Abfrage bei den Standesämtern in Stuttgart und den großen Kreisstädten ergab. In Stuttgart hatten demnach laut SWR bis zur zweiten November-Woche 171 Personen bei einem der Standesämter ihren Wunsch auf Geschlechtsänderung angemeldet. Bei 56 Personen wurde die Änderung bereits vollzogen. In Ludwigsburg gab es im selben Zeitraum 16 Anmeldungen, in Göppingen 10. In Esslingen lagen den Angaben nach 26 Anmeldungen vor. In Waiblingen haben seither 12 Menschen ihren Wunsch angemeldet, bei zweien wurde er bereits erfüllt. In Böblingen meldeten sich 13 Menschen. Zahlen weiterer Städte liegen uns nicht vor bzw. konnten wir nicht eruieren.
Wir freuen uns, dass im November auch die Medien lokal und regional so breit und vielfältig über diesen Meilenstein berichtet haben!
Am 9. Juni ist nicht nur Europawahl, sondern auch Kommunalwahl in Baden-Württemberg. Auch auf kommunaler Ebene sind queere Themen wichtig. Wir haben daher ein paar Fragen gesammelt und den größten Listen in den größten BW-Kommunen gestellt bzw. den Listen-Vertreter:innen und Parteien, die seither schon in einem Gemeinderat vertreten waren. Weil es wahnsinnig viele sind und wir das als Landesverband, der sich hier zudem nicht nur auf Stuttgart konzentrieren möchte, alles weder in der Auswertung abdecken noch gut darstellen können, bitten wir um Verständnis für eine gewisse Unvollständigkeit. Außerdem haben wir uns dazu entschlossen, die AfD nicht zu fragen – deren „Programm“ zu queeren Themen ist ja bekannt.
Unsere Fragen an die Politiker:innen waren:
1
In Zeiten, in denen queerfeindliche Anfeindungen und Angriffe wieder zunehmen, gerade in Städten: Wie wollen Sie sich in Ihrer Kommune oder Ihrem Kreistag allgemein in Zukunft für queere Menschen einsetzen? Welche Überlegungen dazu haben in Ihrem Wahlprogramm Eingang gefunden?
2
Der Beratungsbedarf von queeren Menschen in all ihren Belangen ist wieder gestiegen. Dazu braucht es Räume, zusätzlich braucht es Schutzräume für die verschiedenen Gruppen. In Stuttgart gibt es beispielsweise von der Stadt in Trägerschaft von uns, dem LSVD BW, ein Beratungszentrum für Regenbogenfamilien und alle, die es werden wollen. Es gibt kommunal geförderte queere Zentren, es gibt Unterstützung der Städte bei großen, wichtigen Ereignissen wie dem CSD oder dem IDAHOBITA. Nach wie vor ist aber sehr viel davon selbstverwaltet und entsteht in ehrenamtlicher Arbeit. Was wollen Sie dafür tun, diese Strukturen zu erhalten, zu unterstützen und auszubauen?
3
Wie wollen Sie in diesem Zusammenhang speziell zur Förderung und Beratung folgender Gruppen innerhalb der queeren Community einen Beitrag leisten?
– Jugendliche und junge Erwachsene (gemeint ist hier auch beispielsweise Schulaufklärung und speziell Beratung und Aufklärung im Bereich trans)
– Regenbogenfamilien und queere Familiengründende
– Geflüchtete
– ältere Menschen, vor allem schwule und lesbische Senior:innen
4
Letztere Gruppe ist auch oft von Mehrfachdiskriminierung betroffen bzw. der allgemein schwierigen Lage im Gesundheitswesen und in der Pflege. Es gibt aber Neckar-Raum gibt es die Initiative „Q50“, die sich fragt, warum sich die Kommunalpolitik nicht mit dem Thema „Queer im Alter“ und „Fürsorge-Gemeinschaften“ beschäftigt, denn aufgrund des demografischen Wandels werden in Kürze mehr Menschen, auch in der Community, alt und eventuell pflegebedürftig werden. Haben Sie darauf Antworten, beschäftigen Sie sich mit dem Ansätze, gerade diese Gruppe besser zu unterstützen, aber sie sind meistens eher privat, beispielsweise hat in Stuttgart ein queeres Pflegeheim in privater Trägerschaft eröffnet, im Rhein- Thema? Wie kann hier eine bessere Struktur kommunal aufgebaut oder unterstützt werden? Wie könnten hier ehrenamtliche Initiativen unterstützt werden?
5
Auch bei HIV-Infizierten ist in der Vergangenheit der Beratungsbedarf gestiegen. Zudem gab es Engpässe in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit HIV. Wie setzt sich Ihre Liste/Ihre Partei hier ein, um dem entgegenzuwirken?
6
In einigen Städten ist das Thema LSBTTIQ schon in der Stadtverwaltung angekommen, Städte wie Mannheim haben bereits eine entsprechende Beauftragung mit Ansprechpersonen. In Städten, wo dies nicht der Fall ist: Haben Sie vor, eine LSBTTIQ-Koordinierungsstelle zu schaffen und damit für mehr Sichtbarkeit zu sorgen? In Städten, wo dies bereits der Fall ist: Wie kann die Stelle in Zukunft dafür sorgen, dass queere Menschen noch sichtbarer werden?
7
Jede Stadt hat Partnerstädte. Queere Menschen sind in anderen Ländern teilweise noch stärker Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt als in Baden-Württemberg. Um hier Zeichen zu setzen und international etwas für den Schutz queerer Menschen zu tun, gibt es zwei Werkzeuge, die vor einigen Jahren schon stark diskutiert, aber nicht überall genutzt wurden: Städte können sich zur „LGBTIQ Freedom Zone“ erklären und dem Netzwerk „Rainbow Cities“ beitreten. Haben Sie vor, sich dafür einzusetzen, ggf. beizutreten und darüber hinaus bei den Partnerstädten entsprechend für queere Menschen einzutreten? Dies ist nicht zuletzt zur gleichzeitig stattfindenden Europawahl und der folgenden Fußball-EM wichtig.
Stuttgart, Tübingen, Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg, Konstanz, Heilbronn, Ulm: Ihr findet die Antworten nach Städten und Listen/Parteien geordnet nachfolgend. Etliche haben nicht geantwortet, auch darüber ergibt sich natürlich eine Unvollständigkeit.
Zum diesjährigen IDAHOBITA am 17. Mai, dem „Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, Trans- und Asexuellenfeindlichkeit“, hatten wir zusammen mit IG CSD Stuttgart – Stuttgart Pride, Aids-Hilfe Stuttgart, Weissenburg, LC Stuttgart, Türkischer Gemeinde Baden-Württemberg, Bären Stuttgart, Salz der Erde MMC Gemeinde Stuttgart sowie VelsPolSÜD (Interessenvertretung und Mitarbeiter:innennetzwerk für queere Beschäftigte in Polizei, Justiz und Zoll in Baden-Württemberg und Bayern) einen Aktionstag mit Informationsangeboten, Musik- und Redebeiträgen auf dem Stuttgarter Rotebühlplatz veranstaltet. Hier könnt ihr unsere Rede nachlesen.
Erst kommt der Frühling – mit dem Tag der lesbischen Sichtbarkeit (26. April) und dem IDAHOBITA (17. Mai). Und dann startet im Juni auch schon wieder die Pride-Saison! Hier findet ihr alle Termine in Baden-Württemberg.
Im Land der Autobauer arbeiten logischerweise auch sehr viel mehr LSBTTIQ in der Automobilbranche. Wie sieht es hier mit Vielfalt und Antidiskriminierungsarbeit aus, und wie können Firmen mit ihrem Diversity Management während der Pandemie sichtbarer werden – nach außen und nach innen? Wir haben dazu Claudia Feiner getroffen. Sie ist Gründerin des Mitarbeitenden-Netzwerks „Proud@Porsche“ und hat ein unternehmensübergreifendes LSBTTIQ-Berufsnetzwerk für den Südwesten initiiert. Und dieses macht natürlich auch eine Aktion zum Diversity-Tag.